DER SPIEGEL 30/2003 - 21. Juli 2003
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Insolvenzverwalter
Griff in die Masse
Die Flucht eines Hamburger Anwalts wirft Schatten auf die gesamte Branche: Statt zu retten, was zu retten ist, schlachten einige Juristen Pleitefirmen aus und lotsen Millionen in die eigene Tasche.
Hinter der Eingangstür türmt sich die Post. Die Telefone sind abgeschaltet, das Faxgerät schweigt.
Zuletzt musste Oliver Herbst in den Büroräumen im Hamburger Stadtteil Hohenfelde nur gelegentlich noch vorbeischauen und wichtige Briefe an sich nehmen: Gerichtssachen und Mandantenpost. Herbst kam im Auftrag der Hamburger Anwaltskammer - als Kanzleiabwickler. Denn der Eigentümer der Stadtvilla, der Insolvenzverwalter Hans-Jürgen Lutz, 51, ist seit gut einem halben Jahr spurlos verschwunden.
Er fliege geschäftlich nach Hongkong, hatte der Anwalt seinen Mitarbeitern im November erklärt, danach werde er einen Urlaub in Fernost dranhängen. Seitdem wurde der Mann nicht mehr gesehen, er hat sich vermutlich auf die Philippinen abgesetzt. Mit ihm verschwunden sind Millionensummen aus Pleitefirmen, die sich in seiner Obhut befanden, allein 14 Millionen Euro fehlen beim insolventen Boizenburger Keramikhersteller Gail Inax. Nun ermitteln Staatsanwälte wegen des Verdachts der Unterschlagung und Untreue gegen Lutz.
Die Flucht des Hamburger Rechtsanwalts, der rund 150 laufende Insolvenzverfahren hinterlässt, wirft einen Schatten auf die gesamte Branche. Das Geschäft mit der Pleite läuft prächtig, die Zahl der Firmenzusammenbrüche erreicht immer neue Rekordstände. Gleichzeitig aber häufen sich die Fälle, in denen Verwalter bei unsauberen, teilweise sogar kriminellen Praktiken erwischt werden. Statt zu retten, was zu retten ist, schlachten sie die Pleitefirmen regelrecht aus und lotsen Millionensummen in die eigene Tasche.
Solches Fehlverhalten tritt ausgerechnet in einem Gewerbe auf, das nach außen hin so integer und seriös wirkt. Rechtsanwälte und Steuerberater verwalten als Treuhänder die Vermögenswerte, die nach der Schieflage in der Firma übrig sind. Diese Masse sollen sie sichern und versuchen, damit die Forderungen der Gläubiger zu erfüllen. Im besten Fall gelingt es ihnen, das Unternehmen zu sanieren oder an einen Investor zu verkaufen.
Die Praxis sieht bisweilen ganz anders aus. In der Branche nimmt die Selbstbedienungsmentalität zu, zugegriffen wird vor allem bei Unternehmen in den neuen Ländern:
Die Staatsanwaltschaft Schwerin ermittelt gegen einen Hamburger Insolvenzverwalter, der mindestens eine Million Euro Vermögen einer Pleite gegangenen Feriensiedlung an der Mecklenburger Seenplatte veruntreut haben soll. Der Advokat ist in Deutschland nicht mehr gemeldet, vermutlich hält er sich in Moskau auf;
der Aachener Konkursverwalter Wilhelm D. soll in der Vergangenheit rund zehn Millionen Euro veruntreut haben, im März verhafteten Beamte des sächsischen Landeskriminalamts den Mann. Zuvor war er jahrelang im Ausland abgetaucht, er soll sich in Gibraltar, Marokko und Griechenland aufgehalten haben. Dem einst angesehenen Anwalt kamen die Fahnder bei Ermittlungen gegen so genannte Firmenbestatter auf die Spur, die Pleitefirmen liquidieren und dabei Gläubiger prellen;
in Stuttgart ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen einen Mitarbeiter eines Insolvenzverwalters, der Immobilien einer Pleitefirma quasi an sich selbst zum Schnäppchenpreis verkauft und anschließend weiterveräußert haben soll - mit Millionengewinn.
Immer häufiger landen in letzter Zeit solche Fälle auf dem Schreibtisch des Hamburger Rechtsanwalts Oliver Nix, 38, der früher selbst bei einem Insolvenzverwalter gearbeitet hat. "Leider stehen oft die finanziellen Interessen der Verwalter im Vordergrund und nicht die der Gläubiger", sagt Nix.
Die normale Vergütung ist lediglich der Grundstock für den Wohlstand dieser Verwalter: Sie wird vom Gericht streng nach Honorarordnung festgesetzt, bei großen Unternehmen kann es sich schon um Millionen handeln. Darüber hinaus aber nutzten die Insolvenzverwalter "eine ganze Reihe von Tricks und Kniffen", so Nix - meist liegen sie in einer Grauzone: So schließen Anwälte Beratungsverträge mit ihrer eigenen Kanzlei, oder sie lassen eine Steuerberatungsgesellschaft, die mit der Kanzlei assoziiert ist, die Erstellung der Jahresabschlüsse übernehmen - alles bezahlt aus dem verbliebenen Firmenvermögen.
Besonders dreiste Verwalter gründen eigens Unternehmen, mit deren Hilfe sie noch mehr Geld aus der Masse auf das eigene Konto transferieren können. Anwalt Nix ist sogar schon auf Abrissbetriebe im Besitz von Insolvenzverwaltern gestoßen: Sie bekommen vom Verwalter den Auftrag, nicht mehr benötigte Firmengebäude abzureißen. "Im Extremfall", klagt der Rechtsanwalt, "ist am Ende für die Gläubiger nichts mehr übrig."
Der Kieler Insolvenzrechtler Stefan Smid beobachtet bereits "eine Verrohung der Sitten" in Teilen der Branche. In der alten Bundesrepublik sei das Geschäft noch fest in der Hand von renommierten und alteingesessenen Wirtschaftskanzleien gewesen. "Schon bei der kleinsten Unsauberkeit", so Smid, "hätten die ihren guten Ruf verloren." Das änderte sich nach Meinung des Professors mit dem Zusammenbruch der DDR.
Seitdem ist der Bedarf nach Abwicklern von Pleitefirmen immens gestiegen, die Aufträge, die die Treuhandanstalt zu vergeben hatte, waren lukrativ. Fast ohne Kontrolle konnten sich die Verwalter ihre Honorare quasi selbst auszahlen und einträgliche Nebengeschäfte einfädeln.
Die Aussicht auf die schnelle Mark führte auch den Hamburger Anwalt Lutz Anfang der neunziger Jahre in den Osten. Der Mann, eloquent und "vor Selbstbewusstsein nur so strotzend", so ein ehemaliger Kollege, kam schnell ins Geschäft, die Treuhand ließ den Juristen Unternehmen gleich dutzendweise abwickeln.
Lutz ging bei den Konkursgerichten in Schwerin und Rostock ein und aus, bei Pleitebetrieben fuhr er gern im neuesten Mercedes-S-Klasse-Modell vor. Ende 1996 zog er einen besonders lukrativen Auftrag an Land: die Sanierung des Fliesenherstellers Gail Inax AG mit ehemals 800 Beschäftigten und 150 Millionen Mark Jahresumsatz samt Tochterbetrieb in Gießen.
Verwalter Lutz setzte sich selbst als Geschäftsführer ein und verbreitete auf der ersten Gläubigerversammlung im August 1997 Optimismus: "Mitte 1998 werden wir erstmals Gewinne erzielen können." Es kam anders. Jedes Jahr machte die Gießener Tochter neue Millionenverluste. Ende 2000 hatten sich laut Jahresabschluss 28 Millionen Mark Schulden aufgetürmt.
Nur durch einen Bilanztrick konnte Geschäftsführer Lutz die weitgehend selbst verschuldete Pleite in der Pleite kaschieren. Als Verwalter der Unternehmensmutter entschuldete Lutz die Gießener Tochter und schmälerte auf diese Weise die Finanzmittel, die eigentlich den Gläubigern zustanden. "Mit einem solchen Griff in die Masse", sagt ein Branchen-Insider, "steht der Verwalter mit einem Bein im Knast." Mehr noch: Ein Teil der Millionen landete bei Lutz. Allein von Mai 1997 bis November 2001 strich der Advokat nach internen Unterlagen rund 5,5 Millionen Mark Honorar für die Insolvenzverwaltung ein. Dazu kamen Geschäftsführergehälter und Beratungshonorare für seine Kanzlei. Weitere 1,7 Millionen Mark landeten - als Darlehen deklariert - auf dem Konto der Gail Inax Verwaltungsgesellschaft. Inhaber: Hans-Jürgen Lutz. Insgesamt, so schätzt der Gießener Geschäftsführer der IG Bau, Klaus-Dieter Körner, "dürften bei Lutz zwischen acht und zehn Millionen Mark hängen geblieben sein".
Der Fehler steckt im System: Kaum ein Insolvenzgericht kontrolliert wirksam, ob die Verwalter ihre Arbeit korrekt verrichten. Im Gegenteil: Immer wieder beauftragen die Gerichte dieselben Anwälte, die Beziehungen zwischen Verwaltern und Richtern sind eng. Wie eng, hat ein Verfahren gegen den Mannheimer Insolvenzrichter Jesco F. deutlich gemacht.
Der hatte jahrelang einem Rechtsanwalt lukrative Firmenabwicklungen zugeschanzt. Dafür konnte der Richter Fahrzeuge, zuletzt einen Alfa Romeo, aus den Pleitebetrieben kostenlos nutzen. Und für den Sohn des Richters gab es ein flottes BMW Cabrio aus der Konkursmasse. Wegen Bestechlichkeit wurde der Richter im Februar zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt.
FELIX KURZ, ANDREAS WASSERMANN