Experten fordern Reform des Insolvenzrechts

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pestw
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Experten fordern Reform des Insolvenzrechts

Beitrag von pestw »

http://www.ftd.de/unternehmen/finanzdie ... 99.html%22

Experten fordern Insolvenzreform
von Ina Lockhart und Angela Maier (Frankfurt)

Führende Experten halten eine Reform der deutschen Insolvenzvorschriften für überfällig. Die Konkurrenzfähigkeit Deutschlands als Standort für Unternehmenssanierungen sei ansonsten gefährdet, lautete das Fazit einer Expertenrunde auf der FTD-Konferenz "Restrukturierung".

Das Thema gewinnt an Brisanz. In der Vergangenheit hat es bereits mehrere Fälle gegeben, in denen Unternehmen auf Druck der Gläubiger ihren Sitz nach Großbritannien verlagert haben, um so von rechtlichen Vorteilen zu profitieren.

Als akute Reformwünsche nannten die Experten die rechtliche Verankerung von Konzerninsolvenzen, die Einbeziehung von Gesellschafteranteilen in die Insolvenzmasse und eine Möglichkeit der Gläubiger, auf die Auswahl des Insolvenzverwalters Einfluss zu nehmen. Dieser stellt sehr früh die Weichen für den Erfolg einer Firmensanierung oder Abwicklung.

Als Beispiel gilt der in Finanznot geratene Automobilzulieferer Schefenacker. Am Mittwoch stimmen die Gläubiger einer nachrangig besicherten Anleihe im zweiten Anlauf über das Überleben der Firma ab. Dabei würden Hedge-Fonds, Eigner vorrangig besicherter Kredite, die Mehrheit an dem Zulieferer übernehmen. Die Flucht nach Großbritannien hat die Einigung mit den Gläubigern auf Holdingebene erst rechtskräftig gemacht.

Im Fall Hans Brochier Holdings Limited hatte die Sitzverlagerung nicht funktioniert. Trotz eines bereits eingeleiteten Insolvenzverfahrens in Großbritannien beharrte das Nürnberger Amtsgericht auf seiner Zuständigkeit.

Lars Westpfahl, der im Fall des angeschlagenen Möbelkonzerns Schieder als Partner von Freshfields Bruckhaus Deringer das Unternehmen beraten hat, bekräftigte die Notwendigkeit einer Konzerninsolvenz. Gäbe es sie in Deutschland, wäre gewährleistet, dass die Sanierung oder Insolvenz eines Konzerns aus einer Hand und an einem Punkt abgewickelt wird. Unter der aktuellen Rechtslage ziehen Konzerninsolvenzen oft zahlreiche Insolvenzanträge nach sich, die von vielen Richtern bearbeitet werden.

Detlef Hass, Restrukturierungsfachmann der Kanzlei Lovells, forderte die Einbeziehung von Gesellschafteranteilen in die Insolvenzmasse - also in das Vermögen, aus dem die Ansprüche der Gläubiger bedient werden. Eine Einbringung der Gesellschafteranteile in die Insolvenzmasse würde den Tausch von Schulden in Gesellschafteranteile möglich machen, sofern die Gläubiger mit den notwendigen Mehrheiten diesem Plan zustimmen. Derzeit ist dies nur erlaubt, wenn die Gesellschafter damit einverstanden sind.

"Wir haben zu wenige gut ausgebildete Richter"

Reformbedarf sehen der Insolvenzverwalter Michael Jaffé und Clifford-Chance-Partner Kolja von Bismarck bei der gerichtlichen Bestellung des Insolvenzverwalters. Jaffé ist für eine Schwerpunktbildung bei den 182 Insolvenzgerichten in Deutschland: "Große Verfahren werden zunehmend an kleinen Gerichten entschieden, weil in den großen Städten keine Fertigungsstätten mehr angesiedelt sind."

Könnten die zunehmend ausländischen Gläubiger mehr Einfluss auf die Verwalterwahl nehmen, hätten sie mehr Vertrauen in die Verlässlichkeit eines deutschen Insolvenzprozesses, sagte von Bismarck. "Es gibt eine Reihe von Gerichten, bei denen die Zuständigkeit erst bei Eingang des Insolvenzantrags entschieden wird - dort wird nach Nummern zugeteilt." In Großbritannien können die Gläubiger den Verwalter selbst bestimmen.

Die Bestimmung des Insolvenzverwalters durch den Richter wird von den Experten als Nachteil gesehen. "Wir haben zu wenige gut ausgebildete Richter", sagte Biner Bähr, der als Insolvenzverwalter für die Kanzlei White & Case tätig ist. An vielen Amtsgerichten herrsche zudem das Rotationsprinzip.

"Detmolder Modell" ein erster Lösungsansatz

Einen ersten Lösungsansatz sehen die Experten im "Detmolder Modell", das der Detmolder Insolvenzrichter Klaus-Peter Busch beim Spanplattenhersteller Hornitex im Jahr 2001 erstmals angewendet hatte. Dabei machte er den ungewöhnlichen Schritt, die wichtigsten Gläubiger zu versammeln, um sich ihre Meinung hinsichtlich des Verwalters anzuhören. Im Fall der drohenden Insolvenz von Europas größtem Möbelhersteller Schieder nahm er das Risiko auf sich, nicht sofort einen vorläufigen Insolvenzverwalter zur Vermögenssicherung zu bestellen, sondern er benannte zunächst einen Gutachter. So gewannen auch die Gläubiger mehr Zeit, sich zu einigen - wenn auch nur auf eine Galgenfrist bis Juni.

Neuerung

Angepasst werden soll das deutsche Insolvenzrecht an internationale Usancen, so Experten. Sie fordern einen stärkeren Einfluss der Gläubiger auf die Auswahl der Insolvenzverwalter und eine Zentralisierung der Verfahren.
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pestw
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Beitrag von pestw »

Eine erfreuliche und überfällige Entwicklung. Allerdings verstehe ich eines nicht ganz:
ftd hat geschrieben:Detlef Hass, Restrukturierungsfachmann der Kanzlei Lovells, forderte die Einbeziehung von Gesellschafteranteilen in die Insolvenzmasse - also in das Vermögen, aus dem die Ansprüche der Gläubiger bedient werden. Eine Einbringung der Gesellschafteranteile in die Insolvenzmasse würde den Tausch von Schulden in Gesellschafteranteile möglich machen, sofern die Gläubiger mit den notwendigen Mehrheiten diesem Plan zustimmen. Derzeit ist dies nur erlaubt, wenn die Gesellschafter damit einverstanden sind.
Wie soll man sich das vorstellen? Gesellschafteranteile in die Insolvenzmasse einbringen? Die Gesellschafteranteile sind ja ohnehin die nachrangigsten Kapitalbestandteile überhaupt. Die Einlagen der Gesellschafter sind ohnehin futsch im Falle der Insolvenz. Im Übrigen gibt es in der Regel keine Nachschusspflicht, außer bei bestimmten Kommanditgesellschaften. Das heißt, Gesellschafter müssen nicht über ihre Einlage hinaus haften.
Hingegen, dass Schulden in Unternehmensanteile getauscht werden, halte ich für sinnvoll. Allerdings nur mit Zustimmung der Eigentümer. Wie aber soll man diese einholen bzw. wer soll den Gläubigern diese Regelung anbieten, wenn die Eigentümer am Verfahren nicht einmal beteiligt sind.

Auch dieser Satz geht meines Erachtens etwas an der Sachlage vorbei:
ftd hat geschrieben:Könnten die zunehmend ausländischen Gläubiger mehr Einfluss auf die Verwalterwahl nehmen, hätten sie mehr Vertrauen in die Verlässlichkeit eines deutschen Insolvenzprozesses, sagte von Bismarck. "Es gibt eine Reihe von Gerichten, bei denen die Zuständigkeit erst bei Eingang des Insolvenzantrags entschieden wird - dort wird nach Nummern zugeteilt." In Großbritannien können die Gläubiger den Verwalter selbst bestimmen.
Die Gläubiger können sehr wohl auf die Wahl des Verwalters Einfluss nehmen. Sie sind nur zu bequem dazu. Denn bei der ersten (und i.d.R. einzigen) Gläubigerversammlung können die Gläubiger mehrheitlich einen anderen Verwalter wählen. Das Problem ist nur, dass sich die Gläubiger erstmals auf der GV treffen und sich demzufolge vorher nicht abstimmen können. Aber wenn ein Gläubiger die Initiative ergreifen würde und einen ordentlichen Verwalter aussuchen und vorschlagen würde, könnte es anders sein. Aber: welcher Gläubiger sorgt sich schon um das Wohl aller Gläubiger oder gar um das des Unternehmens?

Das aus meiner Sicht größte Problem des Insolvenzrechts wird nicht angesprochen: dass die Gesellschafter oder die Leitungsgremien (insb. Aufsichtsrat) des insolventen Unternehmens nicht am Verfahren beteiligt sind, nicht einmal beratend. Denn sie haben das größte Interesse am Erhalt des Unternehmens und wären am engagiertesten bei der Findung von Lösungen, die letztlich allen Verfahrensbeteiligten (außer dem Insolvenzverwalter :P) nützen würden. Außerdem tritt die Regelung der Nicht-Beteiligung der Eigentümer das grundgesetzlich garantierte Eigentumsrecht mit Füßen.
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pestw
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Beitrag von pestw »

Das Geschäft mit den Zusammenbrüchen

Zweifel an Qualität der Insolvenzverwalter / Ein Rating soll Abhilfe schaffen

ama. FRANKFURT, 1. August. Das Schicksal von 4300 Hertie-Mitarbeitern an 72 Standorten liegt nun in seinen Händen: Insolvenzverwalter Biner Bähr aus Düsseldorf sucht nach Investoren, um die wankende Warenhausgruppe zu sanieren. Nicht immer haben die Gläubiger und Mitarbeiter überschuldeter Unternehmen das Glück, dass ein erfahrener und renommierter Verwalter sich bemüht, den Betrieb wieder flottzukriegen.

Wie gut die etwa 2000 deutschen Insolvenzverwalter sind und ob die Gerichte sie nach den richtigen Kriterien auswählen, darüber streiten Fachleute schon lange. "100 000 Stellen und bis zu zehn Milliarden Euro im Jahr könnten gerettet werden, wenn man Insolvenzverwalter besser bewerten und auswählen würde", sagt Hans Haarmeyer. Der frühere Insolvenzrichter und heutige Professor am Rhein-Ahr-Campus der FH Koblenz hat ein Zertifizierungsverfahren entwickelt, das die Qualität von Insolvenzverwaltern messbar machen soll. "Zu viele Insolvenzverwalter erkennen das Sanierungspotential des Betriebs nicht, weil sie eine rein juristische Herangehensweise verfolgen", sagt Haarmeyer. "Sie sehen den Fall durch die Brille des Anwalts und versuchen in erster Linie, Haftung zu vermeiden."

Zuständig für die Bestellung der Insolvenzverwalter sind die Amtsgerichte am Sitz des Unternehmens. Sie wählen den Sanierer oder Abwickler aus Listen aus, die sie stets für neue Kandidaten offen halten müssen. Das hat das Bundesverfassungsgericht 2004 entschieden: Wer als Insolvenzverwalter frisch auf den Markt komme, dürfe nicht mit dem Argument abgewiesen werden, es gebe schon genügend kompetente Kollegen.

"Geschäftskundig" und "unabhängig" muss der Verwalter sein, mehr Kriterien gibt die Insolvenzordnung nicht vor. Zwar nutzen viele Gerichte schon Fragebögen, und die Kandidaten müssen ihre Qualifikation, ihre Erfahrung und zum Teil sogar ihre Kanzleiausstattung beschreiben. Trotzdem sei die Auswahl weitgehend intransparent, sagt Haarmeyer. Die Richter bestellten "gerne und vorrangig alte Bekannte". Er habe nun 25 Faktoren für ein Rating "destilliert", um Gerichten ein Qualitätssiegel zu liefern. Dabei geht es besonders um die Kosten des Verfahrens: In
welchem Verhältnis stehen Aufwand und Ertrag für die Gläubiger? "Die von uns zertifizierten Unternehmen können eine Sanierungsquote von 40 Prozent vorweisen", sagte Haarmeyer. "Die allgemeine Quote liegt zwischen fünf und sieben Prozent." Außerdem sei diese Tätigkeit nichts für Anfänger. Mindestens fünf Jahre Erfahrung sollten Neuling bei etablierten Insolvenzverwaltern sammeln.

Von einem Rating hält Angelika Amend, Vorstandsmitglied des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschlands, wenig. "Solche Messlatten bieten sich vielleicht für Banken an, wo alle Operationen standardisiert ablaufen. Hier kann man vergleichen, wer der Schnellste oder Billigste ist." Anders in Insolvenzfällen: "Kein Verfahren ist hier wie das andere. Eine Quote von fünf Prozent kann sehr zufriedenstellend sein und eine Quote von 50 Prozent äußerst schlecht." Die Qualifikation der Verwalter müsse man dagegen schon sicherstellen, sagt Amend. Aber ihr Verband habe Qualitätsrichlinien entwickelt, und ein DIN-Zertifikat, das künftig alle
Mitglieder erwerben müssten. Problematischer als die Auswahl durch die Gerichte sei der scharfe Wettbewerb unter den Insolvenzverwaltern. Im Jahr 2002 seien es noch rund 500 gewesen, heute gebe es um die 2000 Kollegen. "Der Boom kam mit den Großinsolvenzen der Jahrtausendwende", sagt sie. "Jetzt geht die Zahl der Großinsolvenzen zurück, aber die Zahl der Verwalter steigt weiter."

Die "Schicksalsfrage" des richtigen Insolvenzverwalters, wie Justizministerin Brigitte Zypries es kürzlich in einer Rede nannte, könnte bald konkreter geregelt sein. Im Justizministerium beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe mit der Auswahl von Insolvenzverwaltern. Das bayerische Justizministerium hat die Gerichte über die Auswahl befragt, die Studie wird noch ausgewertet. Und Nordrhein-Westfalen hat einen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht, der die Aufsicht über Insolvenzverwalter verbessern soll.

Hans Haarmeyer wünscht sich auch mehr Einsatz von den Gläubigern. Mit Ausnahme von Private-Equity-Investoren gäben die meisten Gläubiger ihr Geld verloren, sobald der Insolvenzantrag gestellt werde. Die Ausnahme seien Pleiten wie Cargolifter, wo eine Aktionärsgemeinschaft den damaligen Insolvenzverwalter heftig attackierte. Diese laxe Kontrolle bereite den Weg für schwarze Schafe: Manche Verwalter bestellten aus dem Freundeskreis teure Gutachter oder wälzten möglichst viele Kosten der eigenen Sozietät auf die Insolvenzmasse ab. Auch das könnte sich ändern. Nach dem nordrhein-westfälischen Gesetzentwurf sollen die Gläubiger nun früher Einfluss auf die Wahl der Insolvenzverwalter haben.

Text: F.A.Z., 02.08.2008, Nr. 179 / Seite 10

Wirklich selten, dass das mal eine Zeitung so auf den Punkt bringt. pestw
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