http://www.welt.de/wirtschaft/article30 ... leite.html
Firmen
Insolvenz ist nicht gleich Pleite
Von Carsten Dierig 14. Januar 2009, 16:39 Uhr
Deutschland steht vor einer Pleitewelle. 35.000 Unternehmensinsolvenzen erwartet die Wirtschaftsauskunftei Creditreform in diesem Jahr – ein Plus von fast 20 Prozent gegenüber 2008. Bei rechtzeitiger Anmeldung könnten viele Firmen gerettet werden. Gute Insolvenzverwalter sind aber rar.
[Bild]
Eine große Hummel-Figur steht neben dem Firmenschild der Porzellanfabrik Goebel in Rödental. Der angeschlagene Hersteller der berühmten Hummel-Figuren hat einen neuen Investor. Nach Angaben des Unternehmens hat die Höchster Porzellanmanufaktur die Traditionsmarke von den US-Unternehmen Strategic Value Partner und Merrill Lynch übernommen; sie waren nach der Insolvenz vor zwei Jahren bei Goebel eingestiegen
Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform rechnet damit, dass es dieses Jahr zu 35.000 Unternehmensinsolvenzen kommt – ein Plus von fast 20 Prozent gegenüber 2008. Das liegt zwar noch deutlich von den historischen Höchstwerten entfernt. Trotzdem aber werden die Auswirkungen verheerend sein, warnt Insolvenzrechtler Hans Haarmeyer. Denn das Rechtssystem sei nicht ausreichend darauf vorbereitet. „Wir haben in Deutschland zu wenig fähige Insolvenzverwalter, um eine derartige Pleitewelle vernünftig und ohne unnötige Arbeitsplatzverluste bewältigen zu können“, so der ehemalige Insolvenzrichter und heutige Universitätsprofessor. In einer Krise wie der jetzigen wiege das doppelt.
Zwar gibt es derzeit bundesweit rund 1800 registrierte Verwalter, meldet der Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID). Aber lediglich 800 davon haben auch die nötige Qualifikation und den Mitarbeiterstab, um Konkurse ab einer bestimmten Größenordnung zu bearbeiten, meint der VID-Vorsitzende Siegfried Beck.
Wissenschaftler Haarmeyer spricht sogar nur von 100 bis 120. „Das Problem ist, dass die meisten Insolvenzverwalter Juristen sind“, sagt der 60-Jährige. Die würden dementsprechend juristische Arbeit in einem wirtschaftlichen Umfeld machen. Gefragt sei aber unternehmerisches Handeln in einem rechtlichen Rahmen. Schließlich agiere der Insolvenzverwalter in einem Verfahren als Unternehmenschef, der den Geschäftsbetrieb leitet und dabei auch in der persönlichen Haftung steht. „Aber einige können ja nicht mal Bilanzen lesen“, wettert Haarmeyer.
Müssen sie auch nicht, da es keine Nachweispflicht für solche Kenntnisse gibt. Die Insolvenzordnung schreibt lediglich vor, dass mandatierte Personen „unabhängig“ und „für den jeweiligen Einzelfall geeignet“ sein müssen. „Es gibt weder eine Vergabeordnung wie zum Beispiel bei öffentlichen Aufträgen noch eine Berufsordnung wie etwa für Anwälte und Notare“, gibt VID-Chef Beck zu. Die sei aber dringend nötig. Immerhin müssen sich die 425 Mitglieder seines Verbandes mittlerweile nach einer ISO-Norm zertifizieren lassen. Wobei die Vorgabe des DIN-Instituts aber auch nur den reibungslosen Ablauf in einer Kanzlei bestätigt.
Erschreckende Zahlen
Abhilfe könnte bald aus dem Bundesjustizministerium kommen. Denn seit Ministerin Brigitte Zypries in einer Rede vor einigen Wochen die Auswahl eines Insolvenzverwalters als „Schicksalsfrage“ für ein Unternehmen bezeichnet hat, gibt es eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Thematik beschäftigt. Der VID hofft nun auf Ergebnisse schon in den nächsten Wochen.
Die Zahlen seien auch jetzt schon erschreckend. Hans Haarmeyer zum Beispiel schätzt, dass hierzulande jedes Jahr bis zu 10.000 Betriebe mit über 100.000 Arbeitsplätzen gerettet werden könnten, wenn deren Konkursverwalter qualifizierter wären und sich an einer Fortführung und Sanierung der Betriebe versuchen, statt von vornherein nur zu liquidieren. Den Gläubigern sollen zudem rund zehn Mrd. Euro jährlich entgehen, weil die Treuhänder Ansprüche nicht ermitteln und mit Nachdruck durchsetzen. Der VID-Vorsitzende Beck will diese Zahlen zwar nicht bestätigen, hält sie aber für durchaus denkbar.
Zumal das aktuelle Honorarsystem die einseitigen Zerschlagungsbestrebungen noch unterstützt, wie Restrukturierungsberater berichten: „Es geht um das Generieren von Masse. Und das bedeutet: möglichst schnell zerschlagen und alles zu Geld machen.“ Denn Insolvenzverwalter werden erfolgsabhängig bezahlt. Die Vergütung hängt dabei von der so genannten Teilungsmasse ab, also dem Vermögenswert, der an die Gläubiger ausgeschüttet wird. Zwar kommt auch beim Weiterführen oder einem Verkauf der Firma ein erkleckliches Gehalt zusammen. Diese Variante ist aber deutlich arbeits- und zeitintensiver als das Filetieren.
Insolvenz als Chance
In vielen Fällen allerdings ist es für die Verwalter auch schwer, überhaupt noch Substanz zu retten. Denn Experten zufolge sind die meisten Firmen schon fast ein Jahr lang in großen Schwierigkeiten, ehe beim Amtsgericht der Insolvenzantrag gestellt wird. „Die Geschäftsführung verschließt aus nahezu panischer Angst vor einem Imageverlust der Firma und einem Ansehensverlust für sich selbst die Augen vor der Realität und hofft stattdessen auf neue Aufträge“, beschreibt Burkhard Jung, Vorstandsvorsitzender der CMS AG, einer der führenden deutschen Sanierungsberatungen. „Denn die Insolvenz gilt in Deutschland noch immer als Stigma“, so Jung. Daher sei es oft zu spät für eine Rettung.
Dabei kann eine Insolvenz Jung zufolge auch eine Alternative für angeschlagene Unternehmen sein. Kommt die Meldung rechtzeitig, also noch bevor eine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit eintritt, schätzt der Experte die Rettungschancen auf mehr als 75 Prozent. Gerade in der aktuellen Wirtschaftskrise geraten im Kern gesunde Unternehmen in ein Problemfeld aus Umsatzeinbrüchen, rückläufigem Aufträgen, unbezahlten Fordrungen und verwehrten Krediten.
Was Insolvenzverwalter kosten
Insolvenzverwalter werden für ihre Leistungen erfolgsabhängig bezahlt. Die Vergütung berechnet sich nach dem Wert der Insolvenzmasse, also dem Geld, dass am Ende des Verfahrens an die Gläubiger ausgeschüttet wird. Die Sätze sind dabei laut der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung (InVV) wie folgt?Zudem gibt es eine Reihe von Zu- und Abschlagsgründen,
- 40 Prozent bei Beträgen bis 25.000 Euro
25 Prozent bei Beträgen bis 50.000 Euro
Sieben Prozent bei Beträgen bis 250.000 Euro
Drei Prozent bei Beträgen bis 500.000 Euro
Zwei Prozent bei Beträgen bis 25 Mio. Euro
Ein Prozent bei Beträgen bis 50 Mio. Euro
0,5 Prozent bei Beträgen über 50 Mio. Euro
die sich in der Regel nach der Schwierigkeit des Falles ausrichten.
Jungs Lösungsvorschlag ist das so genannte Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung. Dabei versucht die amtierende Geschäftsführung unter Aufsicht eines Insolvenzverwalters das Unternehmen zu sanieren. Erfolgsbeispiele sind der Maschinenbauer Babcock-Borsig, die Drogeriekette Ihr Platz, die Schuhhandels-Verbundgruppe Garant, die Restaurantkette Wienerwald oder aktuell das Modehaus Sinn-Leffers.
Die Chance bei diesem an das US-Sanierungsverfahren Chapter 11 angelehnte Modell besteht in der neu gewonnenen Handlungsfreiheit. So kann sich der Verwalter wie im klassischen Insolvenzverfahren von jedem Vertrag trennen, bei Miet- und Arbeitsverhältnissen zum Beispiel mit einer kurzen Frist von bis zu drei Monaten. Sinn Leffers etwa will das nutzen, um sich von der Mietbelastung zu befreien, nachdem bislang nur 20 der 47 Vermieter bereit waren, die Konditionen zu ändern.
Löhne, Gehälter und Betriebsrenten werden zudem für drei Monate von der Bundesagentur für Arbeit (BA) bezahlt. „Das verschafft der Firma Luft, um den Geschäftsbetrieb wieder anzukurbeln“, beschreibt Bruno Kübler, Inhaber einer renommierten Insolvenzrechts-Kanzlei. Dass dabei einzelne Schuldner gegenüber einer Gruppe von Gläubigern bevorteilt werden, ficht er nicht an. „Wenn das Unternehmen den Bach runter geht, sind die Verluste aber deutlich höher“, sagt Kübler, der derzeit etwa das Insolvenzverfahren von Thielert Aircraft Engines und der Spedition Friedrich Schulze abwickelt.
Dass diese Sanierungsmöglichkeit dennoch kaum genutzt wird – 2007 zum Beispiel gab es Schätzungen zufolge bei bundesweit 27.500 Unternehmensinsolvenzen gerade 240 Planverfahren – begründen Experten auch mit der fehlenden Sanierungskultur in Deutschland. Zwar wird die aktuelle Insolvenzordnung im März nun schon zehn Jahre alt. „Vorher galt aber 100 Jahre lang eine auf Zerschlagung ausgelegte Konkursordnung“, sagt Hans Haarmeyer.
Darüber hinaus hält die Auswahl der Verwalter viele Firmen vom Planverfahren ab. Denn während die Unternehmen in anderen Ländern wie etwa Großbritannien, Spanien, Frankreich oder den USA selbst Verwalter vorschlagen können, liegt die Auswahl des Treuhänders in Deutschland allein in den Händen der Amtsgerichte, die sich nebenher auch um Ehescheidungen und Nachbarschaftsstreitigkeiten kümmern.
Dabei ist völlig unklar, welche Kriterien sie bei der Verteilung der Mandate anwenden. „Die Schwelle zum Planverfahren würde deutlich gesenkt, wenn man vorher weiß, wen man als Verwalter bekommt“, glaubt Haarmeyer.
Anmerkung: Der hier als Zitat formatierte Absatz ist eigentlich ein Kasten im Text.Wusste nicht, wie ich es anders kenntlich machen sollte. hilgenberg