D4 - Kassandra Reloaded

Details zum Insolvenzskandal CargoLifter
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D4 - Kassandra Reloaded

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Kassandra Reloaded
von Dirk Pohlmann

Zu Jahresbeginn 2002 zeichnete sich die Insolvenz der CargoLifter AG immer deutlicher ab. So bitter das für Aktionäre und Mitarbeiter war, es sollte noch schlimmer kommen. In den Wochen und Monaten des Firmenzusammenbruchs wurde nicht nur die technische Machbarkeit des Projektes und Kompetenz des Managements in Abrede gestellt, Printmedien wie „Stern“ und TV Sendungen wie „Panorama“ scheuten nicht mehr davor zurück, das CargoLifter-Projekt als Betrug zu bezeichnen. Das war weder eine Heldentat noch war es guter Journalismus. Es war das Ausnutzen von Schwäche. Am Boden liegende können sich nicht wehren, wenn sie getreten werden.

Auf diesem Stand, Juni 2002, ist die Diskussion seitdem eingefroren. Wer versucht, bei Kollegen und Freunden das Thema Lastenluftschiffe anzusprechen, stößt auf verfestigte Vorurteile. So sehr man sich auch bemüht, mit vernünftigen Argumenten zu überzeugen, nach einigen Minuten muss man einsehen, dass „nichts mehr geht“. Die sorgsam gewählten Worte erzeugen bestenfalls ablehnendes Schweigen beim Gegenüber. Für CargoLifter zu argumentieren, ähnelt dem Versuch, eine Gummiwand durch Anrennen zum Einsturz bringen zu wollen. Das führt zu Beulen und Dellen auf beiden Seiten, aber letztlich nimmt nur der Berserker dauerhaft Schaden. Die Gummiwand regeneriert sich in Sekundenschnelle und bleibt unversehrt. Und die Zuschauer denken: „Wer so einen Unsinn redet, so uneinsichtig ist, gehört eben in eine Gummizelle.“

Es ist zum Verzweifeln. Man weiß, dass man Recht hat, aber niemand hört zu und versteht. Genau das war das Schicksal von Kassandra, einer Figur der griechischen Mythologie. Kassandra hatte die Gabe der Vorhersehung, aber niemand glaubte ihren Prophezeiungen. Die alten Griechen, Spezialisten für geniale Mythen, stellten sie an die Seite von Sisyphos und Prometheus, zwei weitere Großmeister des genialen Scheiterns. Sinnbilder für die menschliche Existenz.

Allerdings wurden die Prophezeiungen Kassandras allesamt Realität und der Moment der Erkenntnis traf die „Ungläubigen“ wie ein Blitzschlag. Aber erst, wenn es zu spät war.

Dieser Erkenntnisschock steht auch dem letzten „Weghörer“ beim Thema Lastenluftschiffe bevor, wahrscheinlich bereits im April 2011. Im nächsten Frühjahr soll bei Northrop Grumman der erste Prototyp des LEMV (Long Endurance Multi Intelligence Vehicle) fertiggestellt werden. Ein US-Spionageluftschiff, das über dem Kriegsgebiet in Afghanistan eingesetzt werden wird. Hergestellt in Zusammenarbeit mit einer britischen Firma, die früher ATG hieß und heute Hybrid Air Vehicles. Finanziert durch das US Verteidigungsministerium mit 517 Mio. US-Dollar. Die Verbindungen des ehemaligen Firmenvorstands Sir John Walker haben sich offenbar ausgezahlt. Der Mann war immerhin Chef des britischen Militärgeheimdienstes.

Wird der Erkenntnisblitz ehemalige Dummschwätzer und Lautsprecher dazu bewegen, kollektiv Abbitte bei den CargoLifter-Aktionären und -Mitarbeitern zu leisten? Oder wenigstens einen Moment der kleinlauten, verschämten Stille erzeugen? Eher nicht.

Kassandra hätte geraten: rechnen Sie mit dem Schlimmsten.

Wahrscheinlich werden die deutschen Journalisten, Politiker und „Luftfahrtexperten“, die spätestens beim Erstflug des LEMV in Erklärungsnotstand geraten, zu einer bewährten Taktik greifen, die Konrad Adenauer so formuliert hat: „Was kümmert mich mein blödes Geschwätz von gestern?“

Gerade die Journalisten, die als Erbsenzähler ganze Papierarchive voller Äußerungen der CargoLifter-Chefs aufbewahrt hatten und sie damals bei Bedarf genüsslich herauskramten: „Das haben Sie aber am 17.1.1993 noch ganz anders gesagt! Können Sie diesen eklatanten Widerspruch aufklären?“ werden „blitzartig“ unter Amnesie leiden, wenn es um die eigenen Behauptungen und Widersprüchlichkeiten geht. Sie werden sich mit den Politikern zusammentun, die damals den Geldhahn zugedreht hielten und kryptisch von „Bedenken hinsichtlich der technischen Machbarkeit“ raunten. Sie werden in ihren eigenen Krokodilstränen ertrinken: „Ich wusste immer, das Lastenluftschiffe wie der CargoLifter eine geniale Idee sind. Ich war auch immer dafür! Ehrlich, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort! Aber leider hat das CargoLifter Management die Sache versaubeutelt! Die waren es! Die haben schlechte Arbeit gemacht. Nicht ich!“

Und die „Luftfahrtexperten“ werden beim Rückwärtslaufen Haken schlagen und abwehrend die Hände heben: „Moment! Die Briten haben ja auch ein ganz anders Konzept. Das ist technisch ü-b-e-r-h-a-u-p-t nicht vergleichbar. Und außerdem ist es ein Spionageluftschiff, kein Lastenluftschiff.Ich habe NIE behauptet, dass Spionageluftschiffe Unsinn sind, bei schlechtem Wetter weggeblasen werden, bei Vereisung vom Himmel fallen und nicht über die Alpen fliegen können. Ich habe immer nur von Lastenluftschiffen gesprochen!“

Allerdings haben Northrop Grumman und HAV bereits gemeinsam verlauten lassen, dass ihre Spionageluftschiffe hervorragende Lastentransporter abgeben würden. Für diesen Zweck sind sie nämlich ursprünglich konstruiert worden. Und das Fachjournal „Flight International“ schreibt: „Mittlerweile haben die Forschungsabteilungen der US Navy langfristiges Interesse angemeldet, riesige Mengen Fracht mit gigantischen Hybridluftschiffen zu transportieren.“

Man muss die deutschen Fachleute folgerichtig auffordern, jetzt die US Air Force und US Navy, so wie damals CargoLifter, mit ironischen Kommentaren im Spiegel-Stil zu attackieren, denn was in diesem Satz zum Ausdruck kommt, ist ganz klar Größenwahn im übelsten CargoLifter-Stil.

Wahrheitsgehalt und Absichten der CargoLifter-Verlautbarungen wurden kurz vor und während der Insolvenz grundsätzlich in Zweifel gezogen. Der Marketingabteilung wurde unterstellt, falsche Zukunftsprognosen gestreut zu haben. Rückblickend ein erstaunlicher Vorwurf. In der letzten Anzeige der CargoLifter AG stand wörtlich folgender Text, der damals – natürlich – vom Spiegel „ironisch“ kommentiert wurde:

Anders als bei vielen bereits realisierten oder noch in Planung stehenden Luft- und Raumfahrt-Projekten sind die technischen und finanziellen Risiken bei CargoLifter überschaubar. Es geht um realistische Ziele wie Wirtschaftlichkeit, Zukunftstauglichkeit und Marktführerschaft. Wir sind unbestritten Pioniere eines neuen Transportsektors – aber wir sind nicht mehr allein! Die internationale Luft- und Raumfahrtindustrie reagiert hellwach auf die Chancen der wiederentdeckten »Leichter-als-Luft«-Technologie. Die CargoLifter AG hat bereits rund die Hälfte des benötigten Kapitals eingeworben. Jetzt stehen noch zwei weitere geplante Finanzierungsschritte an. Es handelt sich um Risikokapital. Das war es auch 1996 bei der Gründung der AG und 2000 beim Börsengang. Heute zeichnen sich die Chancen klar am Horizont ab. Im Herbst dieses Jahres wird CargoLifter mit der Produktion in der zur Zeit weltweit einzigen dafür geeigneten Produktionsstätte beginnen. Die Frage ist jetzt nicht mehr, ob in Zukunft Transportluftschiffe gebraucht und gebaut werden. Die Frage ist, ob diese Technologie dort verwirklicht wird, wo sie entwickelt wurde – in Deutschland. Innovation braucht Mut.

Der Traum vom zivilen Transportluftschiff aus Deutschland, vom Luftwal, der gute Geschäfte erledigt, ist in den USA zum „George Orwell 1984 Airship“ mutiert. In der CargoLifter-Anzeige vom 2001 stand:

Die Mitarbeiter aus 18 Nationen und die fast 65.000 CargoLifter Aktionäre verbindet die gemeinsame Vision einer Technologie für das 21. Jahrhundert: Eine Ingenieurleistung, die auch für kommende Besatzungen des Raumschiffs Erde friedlich, nützlich, umweltfreundlich und gewinnbringend arbeiten wird.

All diese Sätze sind mit jedem Jahr, das seitdem vergangen ist, treffender geworden.

Genau das Gegenteil gilt für die Behauptungen der CargoLifter Gegner.

CargoLifter war weder technisch unmöglich, noch Betrug, wie sich jetzt erweist. Aber das Projekt war seiner Zeit möglicherweise ein paar Jahre zuviel voraus. Zu futuristisch, um in einem seltsam mutlosen Land wahr werden zu können. Das ist kein Verbrechen, aber es ist eine Tragödie. Eine deutsche Tragödie.

Kassandra reloaded.

Der Autor
Dirk Pohlmann
M.A., 1959 geboren, studierte Publizistik, Philosophie und Jura in Mainz, erwarb verschiedene Pilotenscheine bis zur Berufspilotenlizenz und der Instrumentenflugberechtigung.
Dirk Pohlmann arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren als TV-Autor und Regisseur. Mehrere hundert TV-Beiträge für viele Sender tragen seine Handschrift, darunter über 20 Dokumentationen für ARTE, ZDF und ARD. Seit 2004 beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit Geheimdienstoperationen im kalten Krieg.
Seine historischen Dokumentationen zeichnen sich durch ungewöhnliche Themenwahl sowie gründliche Recherche aus und gehören zu den erfolgreichsten Produktionen von ARTE und ZDF.
Dirk Pohlmann war Geschäftsführer der CargoLifter World.

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