D5 - Luftschiffe und Qualitätsjournalismus

Details zum Insolvenzskandal CargoLifter
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D5 - Luftschiffe und Qualitätsjournalismus

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Luftschiffe und Qualitätsjournalismus
von Dirk Pohlmann

Das Thema Luftschiffe lässt den Journalisten Gerhard Hegmann nicht los. Seit gut 17 Jahren, seit dem Jahr 2000, veröffentlicht der Wirtschaftsjournalist, der für die Süddeutsche und die Financial Times schrieb und jetzt für die Welt/N24 arbeitet, Artikel über die Leichter-als-Luft-Technologie (LTA – Lighter than Air). Immer wieder, man könnte auch sagen, so oft es geht, bringt er dabei in seinen Artikeln Schienbeintritte oder Seitenhiebe gegen CargoLifter unter. Das hat Gründe.

Auch jetzt wieder, in seinem jüngsten Artikel in „Welt/N24“ (https://www.welt.de/wirtschaft/article1 ... anten.html), der eigentlich davon handelt, dass der US-Rüstungsgigant Lockheed Martin einen zweiten potentiellen Kunden für seinen Frachtluftschiffhybriden LMH-1 hat (http://www.lockheedmartin.com/us/produc ... rship.html), kann es Hegmann nicht lassen. Nach Straightline Aviation, die sich für zwölf LMH-1 mit jeweils ca. 20 Tonnen Frachtkapazität interessieren, ist jetzt auch Hybrid Air Freighters aus Paris am Start, die ebenfalls zwölf Luftschiffe kaufen wollen. Das ist ein Geschäftsvolumen von jeweils 500 Millionen USD, zusammen also eine Milliarde USD. Jetzt könnte es etwas werden mit dem Produktionsbeginn. Lockheed Martin hat stets angekündigt, nur bei entsprechender Auftragslage die Produktion zu starten.

Man kann also mit einiger Berechtigung sagen, dass die oft angekündigte Renaissance der Leichter-als-Luft-Technologie für Transportaufgaben jetzt Realität wird.

Man könnte auch darauf hinweisen, dass diese Renaissance mit CargoLifter in Deutschland 1997 ihren Ursprung hatte. Man könnte die Frage stellen, wieso der immense Know-how- und Technikvorsprung nach der CargoLifter-Insolvenz leichtfertig verspielt wurde, denn immerhin war damals so gut wie alles, was in der Branche Rang und Namen besaß und verfügbar war bei CargoLifter in Brandenburg versammelt. Man könnte sogar fragen, was damals in „Medienhausen“ schieflief, wieso auch Qualitätspublikationen flächendeckend Fake-News produzierten und sich in der Echokammer gegenseitig verstärkten, indem sie behaupteten, dass Luftschiffe nur bei schönem Wetter fliegen könnten, die Technologie für Frachttransporte nicht einsetzbar sei und kein Markt existiert habe.

Man könnte darauf hinweisen, dass damals, vor der Insolvenz, CargoLifter in seinen Anzeigen schrieb, Zitat: „Die Frage ist jetzt nicht mehr, ob in Zukunft Transportluftschiffe gebraucht und gebaut werden. Die Frage ist, ob diese Technologie dort verwirklicht wird, wo sie entwickelt wurde – in Deutschland.“ Zitatende. Das ist im Nachhinein einfach richtig. Im Nachhinein. Damals wurden diese Aussagen verhöhnt. Damals haben viele sich gut informiert Wähnende komplett falschgelegen. Die CargoLifter-Belegschaft und die Aktionäre, bei denen man Sektenhaftigkeit diagnostizierte, gehörten nicht dazu.

Man könnte auf so etwas hinweisen. Gerhard Hegmann tut es nicht, und das hat Gründe. Stattdessen schreibt er: „Das gescheiterte deutsche Luftschiffunternehmen CargoLifter nannte in seinem Börsenprospekt aus dem Jahr 2000 Lockheed bereits als möglichen Konkurrenten. CargoLifter ging pleite, das Lockheed-Luftschiff jedoch überlebte.“ Und später zitiert er den Pressesprecher des zweiten Frachthybriden-Herstellers, der britischen Hybrid Air Vehicles: Das Projekt sei zwar ein Signal, dass es einen Markt für Luftschiffe gebe. „Das wenigste, was wir seit CargoLifter brauchen, sind Ankündigungen, die sich nicht erfüllen“, schränkte der Sprecher jedoch ein. Luftschiffprojekte seien auf eine gesicherte Finanzierung angewiesen.

Da hätte Hegmann z.B. auch darauf hinweisen können, dass die Briten, die sich jetzt HAV nennen, nicht weniger als sieben Insolvenzen hinter sich haben (Aerospace Developments, Airship Developments, Airship Industries, Westinghouse Airships, Airship Technologies, Advanced Technologies Group, SkyCat Group). Das Team um Roger Munk hatte einen langen Atem. Roger Munk hat seinen Erfolg leider nicht mehr erlebt, er ist bereits verstorben. Jetzt sieht es für seine Mitarbeiter deutlich besser aus. Das ist die bewundernswerte Geschichte. Aber warum ist die CargoLifter-Insolvenz dann in den Augen von Gerhard Hegmann und anderen so eine Schande?

Es hängt vielleicht damit zusammen, dass Hegmann damals alles daran setzte, die Jagdsaison auf CargoLifter zu eröffnen. Es ging ihm um den scheinbaren journalistischen Scoop, den er landen wollte, dass CargoLifter nur heiße Luft sei, den er für seinen damals neuen Arbeitgeber, die „Financial Times Deutschland“ reklamieren wollte – und für sich selbst. Damit wollte er wohl Karriere machen … Er schrieb im November 2000 den Artikel „Cargolif-f-f-f-f-f-f-ter“, der als Grafik ein leerlaufendes Luftschiff zeigte. Der Artikel war kein Meisterwerk, aber er hatte immense Wirkung. Durch diese komplette Seite in der Financial Times war CargoLifter-Bashing in den „Qualitätsmedien“ hoffähig geworden. Eine Wirtschaftszeitung, die ein Wirtschaftsunternehmen zur Beute deklariert? Wo so viel Rauch war, musste doch auch Feuer sein!

Zitat: „Der Verkaufsprospekt für die CargoLifter-Aktie ist nur so mit Hinweisen auf die gewaltigen Risiken des Projektes gespickt. Es wird selbst erwähnt, dass es zum Verlust des gesamten eingesetzten Kapitals kommen kann.“

Fachleuten fällt auf, dass Hegmann immer wieder Fehler in seinen Berichten unterlaufen, kleinere und größere. Im neuen Welt-Bericht z.B. gibt er der Firma Straightline Aviation den Titel Straightlight Aviation. Ein kleiner Fehler. Und er verwechselt den Anteil zwischen statischem Auftrieb (wie bei einem ein Ballon) und dynamischem Auftrieb (wie bei einer Tragfläche) des Lockheed-Hybriden. Bei Hegmann produziert LMH-1 80% dynamischen und 20% statischen Auftrieb. In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt. Dieser Fehler betrifft allerdings wesentliche Eigenschaften des Konzeptes und sollte einem Fachmann nicht passieren.

Genau genommen sind auch die anderen Fehler keine Petitesse – nämlich dann, wenn man Hegmanns eigene öffentlich propagierten Maßstäbe an ihn selbst anlegt. Er hat z.B. in Interviews mit CargoLifter-Chef Carl von Gablenz stets kleinteiligst überprüft, ob der über die Jahre exakt die gleichen Zahlen und Angaben verwendet hat und jede Abweichung als gravierende Fehlinformation gewertet.

Aber lassen wir die Kirche im Dorf, so was passiert – unabsichtlich. Was nicht passieren darf, ist die absichtsvolle Obstruktion eines Zukunftsprojekts. Und die muss man Gerhard Hegmann vorwerfen. Er holte sich damals Informationen von einem höchst dubiosen Anti-CargoLifter-Aktivisten, dem Luftfahrtjournalisten Heiko Teegen. Dubios bedeutet, dass der es sich z.B. mit der Aircraft Owners and Pilots Association verdorben hatte, indem er einen üblen Nachruf nach dem tödlichen Absturz ihres Chefs, des Astronauten Reinhard Furrer, geschrieben hatte. Dubios bedeutet, dass die deutsche Flugsicherung an keiner Veranstaltung teilnahm, auf der Heiko Teegen sichtbar war. Dubios war, dass er sich damit rühmte, zwei Luftfahrtbetriebe in den Konkurs gebracht zu haben. Aber das war nicht alles. Teegen schrieb im damals hochmodernen Online Forum Wallstreet Online unter mehr als 100 Pseudonymen gegen CargoLifter, Vollzeit, 7 Tage die Woche. Ich habe selbst Gerhard Hegmann mit Wallstreet-Online-Ausdrucken in der Breite des Berliner Telefonbuches herumlaufen sehen, und er hat mir damals bestätigt, dass die Quelle für seinen Artikel vor allem Heiko Teegen war.

Dementsprechend fiel dieser Artikel aus. Er bestand in weiten Teilen aus Bösartigkeiten, getarnt als Akkuratesse, so wie oben beschrieben – und aus falschen Behauptungen. Ein Beispiel - Zitat: „Bis heute weiß niemand, wie sich das Luftschiff in schweren Wetterlagen schlägt. Während Verkehrsflugzeuge über der Wolkendecke fliegen, hängt der CargoLifter wegen seiner geringen Flughöhe inmitten der Wolken. Das heißt, er wäre Vereisungen, Regen und Schnee ausgesetzt. ‚Wenn sich an der Oberseite Schnee ansammelt, muss man sofort landen‘, sagt der ehemalige Pilot Hans Krokor, der mehr als 1.000 Flugstunden in einem 48-Meter-Luftschiff absolviert hat. Aber wo soll eine Riese mit 160 Tonnen Fracht an Bord notlanden? ‚Luftschiffe sind Schönwetterfahrzeuge‘, führt Krokor seine Zweifel aus: ‚Extrem gefährlich sind Gewitter, dort verliert man völlig die Orientierung.‘“

Das war und ist eine Scheinwahrheit, analog zum Scheinriesen Herrn Tur Tur aus Jim Knopf, der immer kleiner wird, je näher man ihm kommt. Diese Behauptungen klingen erst mal groß und wichtig, aber je mehr man sich damit beschäftigt, umso lächerlicher werden sie. Das ist genau das Metier, das Heiko Teegen meisterlich beherrschte: Desinformation.

Und es stellt sich natürlich die Frage, ob diese – scheinbar – in Erz gegossenen Wahrheiten jetzt auch für Lockheed Martin und Hybrid Air Vehicles gelten. Wenn ja, warum schreibt Hegmann jetzt nichts dazu? Wenn nein, haben sich etwa mittlerweile die Naturgesetze geändert?

Hegmann sagte damals deutlich konsterniert in einem TV-Interview: „Das Unternehmen startet mit dem Bau des weltgrößten Luftschiffs aller Zeiten – aus Null!“ Für ihn offenbar ein Sakrileg. „Was erlauben, CargoLifter?“ Den Titel „Größtes Luftfahrzeug der Welt“ hat jetzt zwar ein kleines britisches Unternehmen errungen, nämlich HAV, aber für Gerhard Hegmann ist offenbar vor allem wichtig, dass die richtigen Leute die Geschäfte machen. Also Briten oder Amerikaner mit guter Militäranbindung, idealerweise Rüstungsfirmen wie Lockheed Martin.

Ein deutsches Unternehmen, dass sich durch die Investition von 70.000 idealistischen Zivilisten finanziert, kann da natürlich nicht mithalten – in den Augen des Financial-Times-Deutschland-Journalisten ist so eine Finanzierung wahrscheinlich auch nichts bewundernswertes, sondern eine Geschwulst am Körper des internationalen Finanzmarktes, so wie das ganze Projekt.

O-Ton Hegmann: „Muss CargoLifter ein deutsches Unternehmen bleiben? CargoLifter hat bisher schon als einzigen Großaktionär einen britischen Fonds. Die Frage ist, findet sich ein Unternehmen der Luft und Raumfahrt bereit, hier sind die amerikanischen Unternehmen sehr dominierend, und investiert hier in das Unternehmen. Dann wäre es immer noch ein Standort Deutschland, aber eben dann unter Umständen ein amerikanisches Unternehmen.“

Eine deutsche Firma hätte vielleicht ein Segelflugzeug herstellen dürfen oder einen Heißluftballon. Aber ein neues Luftfahrtsegment kreieren und beherrschen? So viel Innovation wäre dann doch ein Sakrileg und Majestätsbeleidigung gewesen. Da ist dann Schluss mit freier Marktwirtschaft. Das überlässt man gefälligst den großen Hunden!

Und so muss Gerhard Hegmann stets aufs Neue beweisen, dass sein medialer Angriff auf CargoLifter gerechtfertigt und richtig war. Er hat da etwas auf dem Kerbholz – und das drückt aufs Gewissen. Daher stammen die scheinbar unverständlichen Lücken in seinen Artikeln, die ständigen Bezugnahmen auf CargoLifter in einer einzigen Tonart. Hegmann war Ermittler, Ankläger und Vollstrecker in Personalunion. Peinlicherweise lag er daneben. Jetzt hat er eine Leiche im Keller. Was er nicht zulassen wird, ist ein starker Scheinwerfer, der seinen Keller in allen Winkeln ausleuchtet. Und er hat nichts zu befürchten in den Kreisen, die sich in Deutschland selbst als „Qualitätsjournalismus“ lobpreisen.

Die CargoLifter-Affäre ist somit exemplarisch für die schweren Mängel, die unser Mediensystem aufweist. Diese Mängel alle aufzuzählen und mit Belegen zu versehen, würde den gegebenen Rahmen sprengen. Vielleicht ein andermal. Aber einen will ich benennen: Große Macht ohne Verantwortung und ohne Selbstkontrolle.

Der Autor
Dirk Pohlmann
M.A., 1959 geboren, studierte Publizistik, Philosophie und Jura in Mainz, erwarb verschiedene Pilotenscheine bis zur Berufspilotenlizenz und der Instrumentenflugberechtigung.
Dirk Pohlmann arbeitet seit mehr als 25 Jahren als TV-Autor und Regisseur. Mehrere hundert TV-Beiträge für viele Sender tragen seine Handschrift, darunter über 20 Dokumentationen für ARTE, ZDF und ARD. Seit 2004 beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit Geheimdienstoperationen im kalten Krieg.
Seine historischen Dokumentationen, wie "Täuschung - Die Methode Reagan" (2015), zeichnen sich durch ungewöhnliche Themenwahl sowie gründliche Recherche aus und gehören zu den erfolgreichsten Produktionen von ARTE und ZDF.
Dirk Pohlmann war Geschäftsführer der CargoLifter World.

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