Artikel aus den
Stuttgarter Nachrichten
vom 21.11.2002
http://www.stuttgarter-nachrichten.de/s ... php/320151?_
Höhenrausch eines Luftwurms
20 000 Meter über dem Meer: Riesenluftschiffe sollen in Zukunft Satelliten ersetzen
Vielleicht wird man sie einst mit bloßem Auge erkennen können. Wie winzige Insekten, 20 000 Meter über dem Meer, höher als je ein Luftschiff flog. Bis zu 250 Meter lang sollen die so genannten Höhenplattformen werden. Es sind mehrgliedrige Riesenluftschiffe, voll gepackt mit Kommunikationstechnik, eine Konkurrenz für die Satelliten im All. Nur ein paar Probleme müssen die Forscher des Instituts für Statik und Dynamik der Luft- und Raumfahrtkonstruktionen der Uni Stuttgart auf dem Weg zur Verwirklichung dieses Projekts noch lösen.
Da wäre zum Beispiel die Sache mit dem Gewicht. Bis zu einer Tonne Nutzlast sollen die Riesenluftschiffe transportieren können. Die Tragfähigkeit der Füllgase aber nimmt mit zunehmender Höhe ab. "Während ein Kubikmeter Helium auf der Erde ein Kilogramm tragen kann, sind es in einer Höhe von 20 000 Metern noch 80 Gramm", erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter Peter Kungl, der für die elektrische Vernetzung und die Zulassung der Fluggeräte zuständig ist. Deshalb muss die Höhenplattform extrem groß und leicht werden. Bei so einer großen Masse aber treten hohe Spannungen in der Hülle auf. Ein Zeppelin wie die zuvor von den Forschern entwickelte Lotte mit nur einer Kammer kommt deshalb nicht in Frage. Die Höhenplattform soll aus mehreren Gliedern bestehen, damit die Kräfte verteilt werden. Ungeklärt ist noch die Frage des Antriebs. Zwar herrschen in einer Höhe von 20 Kilometern nur geringe Windgeschwindigkeiten, doch der atmosphärische Druck ist so niedrig, dass herkömmliche Propeller als Antrieb nicht taugen, um die Plattform in Position zu halten.
Weil es keinerlei Erfahrungen gibt, müssen Praxistests die Machbarkeit belegen. Dafür nutzen die Stuttgarter Forscher die riesigen Hallen der Firma Cargolifter, die Zeppeline für den Schwerlasttransport konstruieren wollte und dabei Pleite ging. "Wir können uns nur schrittweise vorantasten", meint Andreas Kunze, der an der Entwicklung der Hüllen arbeitet. Vor wenigen Wochen hat ein kleineres Modell der Höhenplattform seinen ersten Flugversuch erfolgreich bestanden. Demnächst soll es ohne Piloten fliegen, dann in einer Höhe von 5000 Metern erprobt werden.
Bei allen Schwierigkeiten - die Vorteile der Höhenplattformen liegen für die Wissenschaftler auf der Hand. Wenn ein Satellit einmal oben ist, dann bleibt er bis zu neun Jahre lang dort oben, ohne dass man nochmals etwas verändern kann. "Die Luftschiffe aber können jederzeit auf die Erde zurückgeholt und mit neuer Technik ausgerüstet werden", sagt Peter Kungl. Für sie spreche auch die Möglichkeit des punktuellen Einsatzes. Bei Großevents wie Messen oder Olympischen Spielen, wo in der Regel sehr viel telefoniert wird, könnten die Plattformen für eine Entlastung der Kommunikationsnetze sorgen. Außerdem sind Luftschiffe billiger als Satelliten, weil für den Start keine teuren Raketen benötgt werden.
Laut Professor Bernd H. Kröplin, Leiter des Instituts für Statik und Dynamik der Luft- und Raumfahrtkonstruktionen und ehemaliges Vorstandsmitglied der Cargolifter AG, stehen die Chancen für eine Serienproduktion nicht schlecht. Nach dem Scheitern von Cargolifter soll sich auf dem Gelände ein neues "Firmencluster" ansiedeln. 220 Millionen Euro an privaten Investitionen seien bereits vorhanden, sagt Professor Kröplin. Das Hauptprojekt des neuen "Businessplans": die Weiterentwicklung der Höhenplattform. Michael Gerster
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