Von http://www.welt.de/data/2003/03/03/47224.html
Neues Insolvenzrecht ist kein Erfolg
Experten: Verfahren zur Firmen-Rettung nach US-Vorbild ist zu kompliziert
von Carsten Dierig
Frankfurt/Main - Philipp Holzmann, Kirch Media, Babcock Borsig, Cargolifter - Spektakuläre Firmenpleiten haben Insolvenzverwalter im vergangenen Jahr ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Und ein Ende scheint nicht in Sicht. Auch in diesem Jahr wird die Zahl der Insolvenzen nicht abebben, sagen Experten. Creditreform rechnet für 2003 mit einem neuen Spitzenwert von mehr als 42000 Pleiten.
Unterdessen wird die Arbeit der Insolvenzverwalter nach eigenem
Bekunden eher schwieriger denn leichter. Denn nach der Insolvenzrechtsreform hat die Komplexität der Verfahren ebenso zugenommen wie die Anforderungen an die Verwalter. Technologische Fortschritte, die Internationalisierung der Wirtschaft und die Veränderungen im rechtlichen Umfeld tun ihr Übriges, sagen Experten. Auch deshalb treffen sich heute Insolvenzverwalter, Bankenvertreter, Schuldnerberater, Richter und andere Verfahrensbeteiligte auf dem vierten Insolvenzrechtstag der Universität Leipzig, der größten Veranstaltung ihrer Art in Deutschland.
Jede Insolvenz sei anders, sagen die Verwalter, wenngleich die
Gründe immer gleich sind: Überschuldung, Zahlungsunfähigkeit oder - nach der Gesetzesreform - auch schon drohende Zahlungsunfähigkeit. Die meisten Insolvenzanträge werden allerdings nicht von den strauchelnden Firmen selbst, sondern von den Sozialversicherungsträgern gestellt. Das zuständige Gericht teilt dann einen Insolvenzverwalter zu. In der Regel sind das Rechtsanwälte, manchmal auch Wirtschaftsprüfer, Steuerberater oder Volkswirte. Dabei ist die Zahl der Verwalter pro Gericht begrenzt. Für die ganz großen Pleitefälle á la Holzmann gibt es laut Manfred Hunkemöller, Unterstützer von Holzmann- Insolvenzverwalter Ottmar Hermann und beim Frankfurter Bauriesen zurzeit zuständig für das Inlandsgeschäft, bundesweit rund 20 Verwalter in der Saniererbranche. Weil der Insolvenzverwalter die zentrale Figur des Verfahrens ist, wird die Auswahl oft als "Schicksalsfrage" bezeichnet. Aufgrund des vergleichsweise intransparenten Auswahlverfahrens durch die zuständigen Richter gab es zuletzt immer wieder Diskussionen um die Bestellung eines Insolvenzverwalters. Auch das ist ein Thema auf dem Insolvenzrechtstag.
Gleiches gilt für das so genannte Insolvenzplanverfahren. Mit der
Reform wurde es als Alternative zur Regelinsolvenz eingeführt. Das Verfahren hat nach Einschätzung von Hunkemöller jedoch nicht die erhoffte Revolution gebracht. Es ist eine Kopie der amerikanischen Insolvenz, in Deutschland zuletzt angewendet bei Herlitz. Dabei bleibt der Rechtsträger des Unternehmens erhalten, der Insolvenzverwalter wird ihm lediglich als eine Art Treuhänder zur Seite gestellt. Das Unternehmen wird nicht zerschlagen, sondern der Geschäftsbetrieb bleibt bestehen und dient der finanzwirtschaftlichen Sanierung, bis das Unternehmen wieder selbstständig lebensfähig ist. "Das Planverfahren wird kaum angewendet, weil es viel zu kompliziert ist und in der Realität oft nicht funktioniert", sagt Hunkemöller. Auch künftig räumt er dem neuen Verfahren wenig Chancen ein.
Zumal das Kind bei der Antragstellung meist ohnehin schon in
den Brunnen gefallen ist, sagt der Experte. Der Insolvenzverwalter sei oft nicht nur Sanitäter, sondern bereits der Leichenbestatter. "Man muss in Deutschland das Bewusstsein schaffen, dass sich die Unternehmenschefs kritisch mit ihrer Arbeit auseinandersetzen und frühzeitig Warnsignale erkennen." Denn Deutschlands Insolvenzverwalter sagen, dass zwischen 70 und 80 Prozent der Unternehmenskrisen durch Fehler im Management verursacht würden.
Artikel erschienen am 3. Mär 2003
Aktuelle Zeit: So, 10.11.2024 20:18
Neues Insolvenzrecht kein Erfolg (?)
Alles zum Thema Insolvenzrecht und Insolvenzverwalter allgemein (nicht speziell das CargoLifter-Verfahren)
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