in der Süddeuschten Zeitung unter
http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/79/41038/
ist am 13.10.2004 zu lesen:
Paradies und das
Glühende Landschaften: Die Karibik und täglich 24 Stunden Sonne am Standort Deutschland. In Brandenburg entsteht der Themenpark "Tropical Islands".
Von Gerhard Matzig
"Eigentlich ist es unvorstellbar", steht im Gästebuch der Tropical-Islands-Baustelle, die seit Wochen Besucher aus ganz Deutschland anzieht, "unvorstellbar - ein Paradies in Brandenburg". Stimmt, das ist unvorstellbar. Ein Paradies im Osten? Dort, wo die Orte beispielsweise Krausnick, Schlepzig oder Zützen und die Probleme beispielsweise Arbeitslosigkeit, Überalterung und Abwanderung heißen? Definitiv unvorstellbar.
Tropisches Inselparadies
Das wäre ja so, als ob ausgerechnet hier, in der Nähe des Städtchens Brand, 80 Kilometer südöstlich von Berlin gelegen, die seit anderthalb Jahrzehnten versprochenen "blühenden Landschaften" wahr würden. Und zwar als tropisches Inselparadies, das von einer weithin sichtbaren, silbrig schimmernden Stahl- und Glaskuppel beschützt wird.
Diese Insel unter der 360 Meter langen, 210 Meter breiten und 107 Meter hohen Kuppel, die aus der Luft wie eine jener Schneekugeln aussieht, in denen man es durch kräftiges Schütteln schneien lassen kann, wird zwar erst im Dezember bezugsfertig sein. Aber das so genannte Soft-Opening läuft bereits. Erblühende Landschaften lassen sich nun mal nicht aufhalten. Das Baustellen-Gästebuch bauscht und wölbt sich vor lauter Erwartung dem Betrachter entgegen.
» Made in Malaysia - das Paradies in Deutschland, in Ost wie West, muss man sich als Importware vorstellen «
Die Karibik in Brandenburg und täglich 24 Stunden Sonne am Standort Deutschland: Das ist ein Versprechen. Obwohl an den blühenden Landschaften, die malaysische Investoren für rund 70 Millionen Euro in Ostdeutschland erfinden, natürlich ein kleiner Hinweis anzubringen wäre: "Made in Malaysia." Das Paradies in Deutschland, in Ost wie West, muss man sich als Importware vorstellen.
Aber das macht nichts, worauf es ankommt, ist doch dies: die Salzwasser-Lagune, 700 Quadratmeter Sandstrand (ausgerüstet mit einer Fußbodenheizung), eine Orchideenwelt und diverse Strandbars, der Wasserpark für sportliche Kinder und die Beachvolleyball-Anlage für kindliche Sportler.
Aufgeboten werden unter der gläsernen Kuppel außerdem: Kulissendörfer aus Malaysia, Thailand, dem Kongo, Amazonien, Bali und Polynesien. Die Welt in ihrer schönsten Form scheint nach Brand zu kommen. Ab 18. Dezember ist diese Globalismus-Utopie auf ihre Diesseitigkeit und Wettbewerbsfähigkeit zu überprüfen: Dann kommen die ersten Gäste.
Die Branche der künstlichen Welten boomt. Fast täglich werden neue Themenparks eröffnet. Sie heißen "Spacepark", "Autostadt" oder "Movieworld". Mal handelt es sich um Indoor-Anlagen, mal um Hallen-Ensembles unter freiem Himmel. In Deutschland geben Jahr für Jahr 38 Millionen Haushalte jeweils 4700 Euro für die Freizeit aus: zunehmend in Themenparks, die insgesamt bereits mehr als fünf Millionen Quadratmeter vereinnahmen.
» Kathedralen des 21. Jahrhunderts «
Der Freizeitforscher Horst Opaschowski nennt solche Anlagen "Kathedralen des 21. Jahrhunderts", der Kulturkritiker Diedrich Diederichsen spricht dagegen von einer "freizeitkulturell fanatisierten Gesellschaft". Wie dem auch sei: Die Investoren gehen durchaus ein Risiko ein. In Bremen wurde erst kürzlich der "Spacepark" nach nur sieben Monaten geschlossen. "Deutschlands erstes Entertainment-Center" war pleite.
Es wird sich also zeigen, ob das Brandenburger Garten-Eden-Imitat, dieses Amalgam unbestimmter Sehnsüchte, in der weltweiten Konkurrenz der Ortlosigkeiten mithalten kann. In Dubai, am Rand der Wüste, soll beispielsweise der größte Skihang der Welt errichtet werden - ebenfalls unter einer Kuppel. Und in Israel denkt man immer mal wieder über Pläne nach, in der Nähe von Armageddon (heute: Megiddo), wo der Bibel zufolge die letzte Schlacht zwischen Himmel und Hölle ausgetragen wird, einen Historienpark zu errichten. Mit Hilfe von Lasershows soll dort das Weltende inszeniert werden.
Sprichwörtlich end-los dagegen, nämlich als Rund-um-die-Uhr-Betrieb, soll die Schöpfung in Brand organisiert werden: täglich 24 Stunden und jährlich 365 Tage geöffnet. So gehört sich das ja auch für die Sehnsucht nach jenem Glück, dem das Nicht-enden-Sollende wesensgemäß ist. Wobei der Zutritt zum Glück zwar käuflich, aber auch streng geregelt ist. Mindestens zehn Euro sollte der Typus "Erwachsener" (zwölf Jahre und älter) schon mit zur Kasse bringen.
So teuer ist der billigste Tarif "Tropical Spezial", der zum vierstündigen Aufenthalt im "einzigen authentischen Tropenparadies in Europa" berechtigt - aber nur für die rätselhafte Zeitspanne vor 8 Uhr morgens und nach 22 Uhr abends. Will eine zeitlich normal veranlagte vierköpfige Familie "Urlaub für einen Tag" machen, so ist das nicht unter 68 Euro zu haben - "Parken kostenlos". Und immerhin ist ja auch der Bustransfer von und nach Berlin gratis.
16.000.000 können nicht irren
Fünf Millionen Menschen, so das Kalkül, leben nur eine Fahrstunde entfernt von Tropical Islands. Weitere 16 Millionen Menschen leben nur drei Fahrstunden entfernt. Und dann gibt es ja auch noch die benachbarten Polen - wie oft scheint wohl die Sonne in Polen, sagen wir, im Januar?
Es könnte durchaus sein, dass die Spekulation auf die stete Sehnsucht der Menschen, ihr Leben in ein sonnig-glühendes Ferienabenteuer zu verwandeln, aufgeht. Und sei es nur für einen Tag, und sei es nur durch die Hilfe von künstlichen Exotik-Dörfern, künstlichem Regenwald, künstlichem Meeresrauschen und künstlicher Sonne.
Für Helligkeit und Wärme sorgen ein Glasdach und spezielle Lichtstrahler, die sonnenähnliches Licht produzieren. "In 100 Jahren", prophezeit Investor Colin Au, "werden wir den höchsten Baum der Welt haben." Blühende Landschaften und der Himmel über Brandenburg: eine Frage der Technik. Es kann allerdings auch sein, dass wir in Brand nur das größte Solarium der Welt haben werden. Die mühsam gezogenen Palmen dürften dann ruhig auch aus Plastik sein. Denn das Mühen um Authentizität und Identität wirkt in einer Welt der räumlichen und zeitlichen Grenzenlosigkeit ohnehin zusehends bizarr.
Von Dezember an rechnen die Betreiber mit maximal 10.000 Besuchern pro Tag - mehr würde die Halle nicht verkraften. Aber schon ab 6000 täglichen Gästen "rechnet" sich das Projekt. Einige tausend Paradies-Reisende werden sich also von den "kontrollierten Temperaturen" auf der Insel wärmen lassen. 23 Grad misst die Nacht, 25 Grad der Tag, 32 Grad die Lagune und sogar 35 Grad der Strand.
Ausruhen in 900 Liegestühlen
Man wird baden, sich ausruhen in einem der 900 Liegestühle, man wird zwischendurch dem Regenwald einen Besuch abstatten und herumspazieren in den Dorf-Imitaten, die sich ihre Exotik aus Malaysia oder Thailand borgen. Oder einfach dreidimensionale Klischee-Vorstellungen davon sind.
Abends wird man sich vom Strand aus die anderthalbstündige Musikshow "Viva Brasil" angucken. Das ist ein Musical zur 1000-jährigen Geschichte Brasiliens. Weitere Shows sind geplant: etwa das "karibische Abenteuer", die "polynesische Reise" oder die "afrikanische Odyssee". Aufgefahren werden "Schauspieler aus Madagaskar, Trinidad und Belize". Die Welt ist kein Dorf - die Welt ist eine Schneekugel. Und zu all dem werden Speisen gereicht "wie etwa Satay oder Churrascaria".
"Und Spreewaldgürkchen?" Der ältere Mann ist zusammen mit seiner Frau und seiner Regenjacke aus Luckenwalde zur Paradies-Besichtigung gekommen. Er macht keinen Scherz. Für ihn ist das Paradies Fernweh im Nahbereich - der Form nach ein gigantisches Spreewaldgürkchen.
(SZ vom 13.10.2004)

